Gut überlegt?


Ein Tierschutzhund zieht ein

 

Zuerst einige grundsätzliche Überlegungen:

 

Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: Sie sind ein Hund, geboren auf der Straße, groß geworden auf der Straße, und Sie kennen sich nur mit diesen Lebensbedingungen aus! Was sind das für Lebensbedingungen?

 

Tagsüber laufen Sie dort herum, wo Sie Futter finden können, in der Nähe von Restaurants, Lebensmittelgeschäften, Mülltonnen, dort, wo Sie wissen, dass tierliebe Menschen Kleinigkeiten deponieren für Streuner. Sie müssen schnell am Futter sein, sonst ist es weg, Sie sollten sich nicht allzu lange an einem Ort aufhalten, sonst vertreiben Sie nicht tierliebe Menschen mit Fußtritten und Steinwürfen (und das sind noch die harmlosen Varianten!).

 

Überqueren Sie die Straße, finden es einige Menschen spaßig, Sie „umzunieten“ - „wieder ein Köter weniger....“. Nach einem mit äußerster Vorsicht verbrachtem Tag suchen Sie sich als Streuner ein Plätzchen für die Nacht, wo der Wind nicht ganz so pfeift und eventuell kein Regen hinkommt. Aber Sie schlafen dort nicht ruhig und entspannt, denn Sie kennen die Gefahr, die Ihnen durch nächtliche Übergriffe drohen! Als Streuner sind Sie vielleicht schon ein oder zwei Jahre alt geworden, aber einen tiefen, erholsamen Schlaf haben Sie nie erfahren. Eine regelmäßige Versorgung mit Wasser und Futter auch nicht. Was wissen Sie, was die seltsam riechenden Menschen mit den Kitteln (in der Tierklinik) mit Ihnen vorhaben, die Sie auf einen kalten Tisch stellen, festhalten, und an Ihnen herumtasten.

 

Alles macht Ihnen Angst! Wirklich alles!

Das Bekannte, das Unbekannte aber noch mehr!

 

Irgendwann hat ein Mensch Sie eingesammelt, Sie sind auf einer Pflegestelle gelandet oder in einem Tierheim. Die Pflegestelle hatte vorher schon viele Gäste wie Sie: müde, hoffnungslose Kreaturen, die erst mal eins brauchen: Ruhe! Denn anders kommt man aus dem Kreislauf, der in dem kleinen Hundekopf das Überleben bestimmt hat, nicht heraus. Und nach der Ruhe kommt das Staunen, und die Neugier: eine Wohnung mit vielen neuen Gegenständen und Gerüchen, aber dafür ist da nicht mehr der vertraute Sternenhimmel bei Nacht, und man kann nicht einfach gehen, wohin es einen gerade treibt. Da ist ein Mensch, der freundlich ist und zuverlässig, und er sorgt sich um einen. Er schimpft nicht, wenn man in der Wohnung sein Geschäft macht, weil rausgehen so Angst macht, dass man dann nicht kann. Wenn es abends dunkel ist und es in den Straßen ruhiger wird, geht dieser Mensch eventuell ein kleines Stück mit Ihnen durch die Straßen, aber jetzt ist da etwas um den Hals, was einen hindert, eigene Wege zu gehen, sich bei Gefahr schnell entfernen zu können. Dann geht es wieder in die Wohnung. Und irgendwann ist ein Tag gekommen, wo wieder alles ganz anders wird.

 

Was erwarten Sie als Streuner, was passieren wird? Irgendetwas von dem, was Sie kennen: entweder das Straßen- oder das Wohnungsleben, denn Hunde können sich nichts Unbekanntes vorstellen (das können wir Menschen auch nicht wirklich!).

 

Das Tierheim (Shelter) ist eine sehr traumatische Erfahrung für Sie als Hund: es ist laut und eng, viele große, aggressive Hunde kämpfen mit ihnen um wenig Futter, Wasser und den besten Platz, einen Platz, wo man nicht im Urin und Kot liegen muss. Das Bellen geht, wie das Jaulen und Fiepen und Heulen, den ganzen Tag über, auch in der Nacht gibt es noch Beissereien, manche Hunde haben Heimweh nach dem Zuhause, das ihre Besitzer irgendwann vor ihnen verschlossen haben. Sie vermissen die Kinder, die vielleicht mit ihnen gespielt haben. Aber als der Hund zu groß wurde und nicht mehr mit kleinen Futterrationen auskam – oder als er alt wurde und zum Tierarzt gemusst hätte – oder als die Hündin, die man läufig auf die Straße schickte vom Gassigang gedeckt wieder kam – nicht mehr in den Alltag passten, war Schluss mit der Freundschaft – weg mit dem Viech! Und eines Tages ändert sich der Tierheimalltag auch wieder: Sie treten die Reise in Ihr erstes richtiges Zuhause an, wo Sie Liebe und Geborgenheit erfahren werden und nie mehr hungern müssen, aber das wissen Sie zu dem Zeitpunkt ja noch nicht.

 

Der Transport: Dann ist der Tag gekommen, wo sie als Hund aus der Wohnung oder dem Tierheim geführt werden, an der Leine oder in einer Box, wieder weg von dem Platz, in dem Sie sich gerade eingelebt hatten, und dem freundlichen Menschen, der Sie bisher fütterte und Sie jetzt in einen Transporter sperrt, in dem bereits viele andere Tiere, Hunde und Katzen auch in Boxen untergebracht sind. Einige Hunde jaulen, Katzen miauen, denn sie haben Angst, Sie haben auch Angst, denn auch Sie wissen nicht, was passiert, wo geht es hingeht, ob Sie was Gutes oder Böses erwartet.

 

Zwischendurch hält der Transporter an, Sie bekommen Wasser und was zu essen und die Boxen werden sauber gemacht. Inzwischen haben Sie sich an das Rütteln zwar gewöhnt aber es ist alles immer noch aufregend und Sie kommen nicht zur Ruhe.

 

Irgendwann geht auch für Sie die Laderaumtür auf, jemand kommt an die Box, öffnet diese, ganz benommen kommen Sie auf die Beine. Sie werden von Menschen begrüßt, die sich freuen und lachen und Sie streicheln. Sie kennen diese Menschen nicht, haben (noch) kein Vertrauen. Wer ist das? Hoffentlich tun die mir nicht weh. Vielleicht nimmt einer Sie an die Leine, damit Sie Gassi gehen aber das will vor Aufregung nicht gelingen.

 

Man hebt Sie in ein Auto hinein, in dem es vielleicht nach fremden Hunden riecht, nach fremden Menschen auf jeden Fall – und sie kennen überhaupt nur wenige Menschen, die je freundlich zu ihnen waren! Auch diese Fahrt endet irgendwann. Jetzt kommen Sie in das neue Zuhause!

  

Da passiert Ihnen das erste Malheur: eine Pfütze, die einfach aus Ihnen raus musste, vor Angst und Stress. Vielleicht sind da viele Menschen, die Sie ansehen, die Leckerchen anbieten, Sie streicheln wollen, aber Sie sind müde, verzweifelt durch die dauernden Veränderungen und Sie können als Hund doch nur das Geschehene verarbeiten, wenn sie behütet und ruhig schlafen dürfen! Sie bekommen vielleicht einen neuen Namen, alle rufen durcheinander, kleine Kinder greifen nach ihnen (im Heimatland haben Kinder Sie getreten, bespuckt, mit Steinen und Stöcken beworfen, aber da konnten Sie auf der Straße immer schnell noch weglaufen), aber Sie können nicht weg und die Vielzahl der neuen Eindrücke, die Gerüche, die Geräusche, die vielen unbekannten Dinge um Sie herum überfordern Sie als Hund und machen Ihnen Angst!

 

Wenn Sie sich bis jetzt in den Auslands-Hund hineinversetzt haben, verstehen Sie seine Überreizung, Überforderung, Verzweiflung und Angst sicher sehr gut. Helfen Sie Ihren neuen Familienmitglied! Falls Ihr Streuner bereits einen Namen hatte, benutzen sie den Namen zumindest in der ersten Zeit. Straßentiere sind Namenlose und der Name, mit dem Ihr Hund zum Essen gerufen wurde, ist meist für den Hund mit positiven Gefühlen verbunden. Er wird weniger Angst vor fremden Menschen haben, wenn zunächst der "alte" Name benutzt wird, es ist etwas Vertrautes!

 

  • Geben Sie dem Hund Zeit und Ruhe, damit er sich erholen kann. Es kommt vor, dass das Tier vor Stress zunächst nichts essen, trinken oder aufstehen möchte und sich auch nicht löst. Das ist erstmal nicht besorgniserregend, warten Sie ab und animieren Sie das Tier wenigstens zu trinken.
  • Stören Sie es nie im Schlaf!
  • Geben Sie ihm eine ausreichend große Transportbox oder einen Schlafplatz in einem ruhigen Raum oder in einer ruhigen Ecke, so dass er von drinnen bzw. aus sicherer Entfernung das Familienleben beobachten kann (Hunde sind großartige Beobachter!).
  • Schreiende Kinder sollten sich anfangs in sicherer Entfernung aufhalten! Hunde hören ca. 200x besser als Menschen, und Sie wissen, wie mürbe ein kreischendes Kind Sie macht! Straßen- und Tierheimhunde kennen keine Staubsauger!
  • Füttern Sie nicht zu hochwertiges Futter! Der Hund ist es nicht gewohnt! Erst wenn er genügend Bewegung und Freilauf hat, kann er mit hochwertigem Futter etwas anfangen!
  • Rennen Sie dem Hund in der Wohnung nicht hinterher! Wenn der Hund sich erholt hat und er sich durch Beobachtung mit ihrem Familienleben vertraut gemacht hat, wird er neugierig werden und zu ihnen kommen.
  • Bitte keine Illusionen: kleine Kinder sind grobmotorisch, sie sollten die ersten Wochen nicht mit dem Hund alleine sein! Bedenken Sie: der Hund hat zur Zeit nicht die stärksten Nerven!
  • Lassen Sie Ihren Hund freundliche ruhige Hunde aus der Umgebung kennenlernen. Ein Hund braucht Hundebeziehungen wie sie Menschenbeziehungen.
  • Leinen sie den Hund erst ab, wenn er auf seinen Namen sicher hört und „Komm her“ oder „bei Fuß“ gelernt hat und gerne ausführt! Wir empfehlen den Besuch einer Hundeschule. Benutzen Sie lieber ein Geschirr statt Halsband, bei Angsthunden ein Sicherheitsgeschirr, aus dem sich der Hund nicht rauswinden kann.
  • Alles Neue ist am Anfang Stress - muten sie dem Hund nicht zu viele Sinnesreize zu. Er ist ja noch überfordert.
  • Sollte der Hund weggelaufen sein: nicht hinterher rennen! Dabei ist er „Beute“ und Sie sind der Jäger. Besser stehen bleiben, in die Hocke gehen, Leckerli in der Hand und ruhig sprechen und rufen. Die meisten Tiere laufen nach einiger Zeit zu dem Ort zurück, wo sie den letzten Blickkontakt mit dem Besitzer hatten.
  • Lassen sie im Dunklen den Hund nicht von der Leine. Im Dunklen will der Hund nur eins: sich in Sicherheit bringen – oder in das, was er dafür hält!

 

Bitte haben Sie Geduld und Verständnis für ihr neues Familienmitglied - dann werden Sie zusammen bald auch viel Spaß haben !!!

 

 

                                                                                                                    Text: Martina Schmidt